Pränataldiagnostik und Spätabtreibung
Familien-Kakao,  Gastbeiträge

Wir sollten dich abtreiben- dabei bist du gesund

Pränataldiagnostik- Fluch oder Segen?

Einleitung

Sarah und und ihr Mann Benjamin wünschen sich ein zweites Kind. Und tatsächlich, Sarah wird schwanger. Beide sind überglücklich, doch dann der Schock: etwas stimmt nicht mit dem Kind in Sarahs Bauch. Sagen die Ärzte. Und stellen sie vor eine Entscheidung, vor der werdende Eltern niemals stehen sollten. Abtreiben oder möglicherweise ein schwerstbehindertes Kind zur Welt bringen?

Abtreibungen zählen in Deutschland zu den häufigsten gynäkologischen Eingriffen. Die Dunkelziffer ist hoch. Besonders wenn eine Behinderung vermutet wird, ist die Wahrscheinlichkeit einer Abtreibung sehr hoch.

Doch was, wenn die Ärzte sich irren?

Statistiken. Wahrscheinlichkeiten. Sie entscheiden oft über Leben und Tod. Doch was, wenn die zahlen lügen? Genau das ist bei Sarah und Benjamin der Fall gewesen. Dieser Beitrag soll keine Bewertung oder Beurteilung darstellen. Er zeigt nur eine ganz persönliche Geschichte. Die von Sarah und Benjamin. Und ihren zwei Kindern.

Und er wirft Fragen auf. Über Pränataldiagnostik, Spätabtreibungen und die Aussagekraft von Statistiken.

Sarah. Meine Geschichte.

Die Diagnose

„Ich zitterte, knüllte mein Kleid zusammen, biss mir auf die Lippen und
versuchte alles so kontrolliert und erfolgreich, wie in einer solchen
Situation nur möglich, aufzunehmen.“

Dies ist ein Auszug aus meinem Schwangerschaftstagebuch. Ich war in der
21. Schwangerschaftswoche, als ich mit meinem Mann und unserem 2
jährigen Sohn voller Vorfreude auf den Bildschirm bei der
Organsonographie schaute.

Der Arzt wurde stiller.

Es breitete sich in mir ein komisches Gefühl aus
und ich schickte meine zwei Lieblingsmenschen vor die Tür.


„Mir ist bei ihrem Kind aufgefallen, dass die Verbindung der beiden
Hirnhälften – der Balken- nicht vorhanden scheint. (…)

Diese
„Balkenagenesie“ diagnostiziere ich in etwa 2 mal im Jahr und eine
Kinderärztin kann ihnen gerne mehr zu dieser Diagnose erzählen.“

Der Arzt begleitete mich aus der Praxis raus, um mich meinem Mann und
unserem Kind zu übergeben. Ben´s Blick werde ich nie vergessen. Denn
erst jetzt verstand er, dass er mit unserem Lieblingssohn rausgeschickt
wurde, weil eben dieser nicht mitbekommen sollte, was sich schließlich
doch nicht vermeiden ließ.


Ich brach unter Tränen zusammen.



Wir sollten bitte nicht googlen wurde mir gesagt. Zum Glück hatte ich
mir den Begriff gemerkt, habe ich gedacht. Natürlich google ich, denn es
sollte ein MRT Termin folgen, den ich aber erst 2 Wochen später hatte.
Und wie sollte es anders kommen?


Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich gegoogelt habe!
Schwerstbehinderung. Blind. Taub. Epilepsie.

„Sie müssen sich entscheiden“


Dies waren Begriffe, die auf mich nach der Recherche begleiteten.
Dass ich dann in ein depressives Tief gefallen bin, wundert mich heute
nicht mehr.
Zwei Wochen habe ich das Haus kaum verlassen. Zwei Wochen habe ich getrauert, geweint, den Fernseher mit Studio Ghibli Filmen noch und nöcher eingeschaltet. Als ich dann den besagten Termin hatte, wurde ich danach mit meinen Unterlagen nach Hause geschickt. Ich solle einen Termin beim Arzt machen.


WHAT THE FUCK?! Können SIE mir jetzt nicht bitte sagen, was los ist?!
Nein, könne er nicht, sagte er.


Ich brach wieder zusammen. Noch länger würde ich diese Unwissenheit
nicht aushalten. Ich hatte noch die Hälfte meiner Schwangerschaft vor mir!
Diese scheiß, scheiß, scheiß Pränataldiagnostik !!!


Der Arzt gab sich einen Ruck, holte mich kurz in sein Zimmer, warf einen
Blick auf die Bilder und sagte: „Ich habe jetzt nur kurz drüber geschaut
und dies ist noch kein fertiger Befund! Aber ich sehe nichts außer der
Corpus Callosum Agenesie. Sie scheint isoliert zu sein. Eine Garantie
gebe ich ihnen dafür allerdings nicht.“

Ich fühlte mich ernst genommen und konnte mit diesen Infos nach Hause
fahren.

Um zu googlen.

Nochmal.

Spätabtreibung?

Aber dieses Mal richtig: Ich habe Arztbücher gelesen. Auszüge aus
anderen Ländern recherchiert und übersetzt. Ich wollte nicht nochmal 2
Wochen lang in einem Tief versauern.


Ein großer Teil der Kinder mit dieser Diagnose wird abgetrieben, wenn es
in der Schwangerschaft festgestellt wird. Zu groß die Angst, zu groß die
Ungewissheit bei diesem Befund.

Alles oder Nichts. Beides ist möglich.
Uns wurde mehrfach nahegelegt, dass wir uns noch bis zum Schluss für
eine Spätabtreibung entscheiden können.

Spätabtreibung?
Brennt euch der Arsch?!
Das ist MORD!!!
Ich kann doch kein Kind mit 2000 Gramm und 35 cm abtreiben ! Es will
doch bleiben! Sonst wäre es nicht immer noch hier!



Wir haben uns FÜR unsere Tochter entschieden.
Komme was wolle.
Wäre sie schwerstbehindert gewesen, hätten wir uns Hilfe geholt. Da die
Prognose aber Hoffnung zuließ, da alle anderen Organe und Gliedmaßen
keine Auffälligkeiten aufzeigten, trugen wir sie auch voller Hoffnung –
UND LIEBE!
Denn dies ist etwas, was mir in der Schwangerschaft immer wieder
auffiel:

„Und, was wird es?!“
„Ein Mädchen“
„Ach, ist ja auch eilt. egal, … Hauptsache gesund!“
„NEIN! NEIN! NEIN! – Hauptsache GELIEBT!“



Durch die Diagnose und meine erste Schwangerschaft in der ich eine
Schwangerschaftsvergiftung hatte, kam ich in die engste Maschinerie der
Pränataldiagnostik. Wir wurden ständig überwacht und kontrolliert.
Ich versuchte den Rest meiner Schwangerschaft so gut es ging zu genießen
und entwickelte eine extreme Hochsensibilität zu meinem Körper und
meinem Kind. Alle Sensoren waren daueraktiv. Entspannt war ich nur, wenn ich unter Freunden war, die mich ablenkten.

Die Ungewissheit


Ablenken, genau. Also: Zurück zum Thema.
Als unsere Zaubermaus schließlich geboren wurde, hatte der Spuk leider
kein Ende. Ich wusste schon in der Schwangerschaft nicht, dass ich nein sagen darf. Nein zu noch mehr Kontrolle. Das Bewusstsein, nach der Geburt für mein Kind nein zu sagen, hat sich nach den ersten 3 Tagen ihres Lebens eingeschlagen. Ich sage mit Absicht nicht „entwickelt“, denn es kam wie ein Schlag.


Mein Baby, mein kleines, frisch geborenes Baby wurde nach der Geburt mit
den grässlichsten Methoden, die ich mir vorher hätte gar nicht
vorstellen können, untersucht. Wie Röntgenaufnahmen vom Thorax eines Säuglings, wie eine Augen- und Ohrenuntersuchung bei den kleinsten Wesen gemacht wird. Das mag ich euch hier gar nicht erzählen.

Und jetzt erst wieder merke ich, dass diese Wunden noch nicht verheilt
sind. Meine Tränen laufen unaufhaltsam, obwohl es nun fast 8 Jahre her ist.



Pränataldiagnostik du Arsch !
Ja, natürlich KANNST du gut sein. Aber du bist es NICHT IMMER!
Und vor allem nicht in dieser Masse!

Gesund? Gesund!


Wir haben ein wundervolles, starkes, mutiges Wesen geschenkt bekommen.
Wir haben ein Kind in geschenkt bekommen, welches geliebt wird.
Bedingungslos.

Wir haben ein Kind geschenkt bekommen, welches nach den Untersuchungen der ersten drei Tage und manchen gemachten und anderen abgelehnten Untersuchungen FÜR GESUND ERKLÄRT WURDE!


Hätten wir die Pränataldiagnostik nicht gehabt, hätten wir wohl eine
sehr entspannte, weniger mit Angst erfüllte Schwangerschaft gehabt und
wir wären im Kollektiv nicht so über die Grenzen unseres Kindes
gegangen.


Es tut mir leid, Mäuschen.

Du bist das Zauberwesen, was uns komplett macht.
Du bist toll, so wie du bist!
Wir sind so dankbar dich zu haben!
Wir lieben dich.


Pränataldiagnostik

Vielen lieben Dank Sarah für diese bewegende Geschichte!

Falls ihr Kontakt zu Sarah aufnehmen möchtet, findet ihr sie hier, auf Instagram.

Wenn ihr keinen Blogbeitrag mehr verpassen möchtet, folgt mir gerne auch auf Instagram unter @frau.kakao.macht.tv, dort kündige ich jeden neuen Beitrag an.

4 Kommentare

  • ALmut Gronauer

    Hey Du liebe,

    auch mein Kind hatte eine solche Diagnose wegen balkenagenesie.
    Dmaals trennten sich dann die WEge von mir und Chairas Vater.
    Heute ist sie 12, wir getrennt, er hat eine 2. Familie inklusive ´nicht – behindertem ´Kind gegründet.

    Immer wieder aber kommt es zu Verständigungsschwirigkeiten…. ich habe das Gefühl, ihm erklären zu müssen, wie sie funktioinnert, und daß sie manche geisteige Entwicklung nicht so schnell hinlegen kann, wie das für ihn und seine ´schnelle´ Welt nötig wäre.

    Denn Chiara „flunkert“ immer noch ausgiebig – ich habe das Gefühl, daß sie eben ncoh ind er magischen WElt ist, die ganz normal ist für alle Kinder, nur dass es bei ihr eben um ein paar Jährchen länger andauert..

    Das wiederum will er nicht verstehen…

    Usw….

    Nun suche cih nach Therapeuten, die Erfahrung mit solchen DIganosen haben – denn unsere stößt hier an die Grenze…

    Es würde mich freuen, wenn Dir diese Zeilen etwas sagen und Du mir vielleicht schreibst!!
    Liebste Grüße aus München,

    Almut

  • Schriebl Maria Anna

    Auch mir ging es gleich-bekam dieselbe Diagnose.
    Mein Kind ist kerngesund und mittlerweile 5Jahre alt!!!!!!

    • Frau Kakao

      Das ist wirklich heftig. Danke das du das mit uns teilst. Vielleicht denkt er ein oder andere dann zweimal drüber nach.

  • Siona

    Ich finde auch, dass unfassbar übertrieben wird. Ich sage nicht, dass man all diese Dinge nicht tun kann und dass es Frauen nicht zusteht auf Basis dieser Vermutungen (so werden sie aber selten dargestellt) Entscheidungen zu treffen. Jeder muss selbst entscheiden, welches Risiko er oder sie eingehen will und welches nicht. Aber heutzutage werden Organscreenings und andere Untersuchungen schon als Bedingung für Krankenhausanmeldungen verlangt und Sanktionen angedroht, wenn man sie nicht erfüllt. Man kann im Grunde kaum noch „nein“ sagen. Mir wurden schon im Zuge der minimalsten Untersuchungen des Mutterkindpasses bei jeder Schwangerschaft Pathologien präsentiert, entweder bei mir oder bei meinem Kind oder bei beiden. Bisher war alles Unfug. Wenn ich dann noch alles dazuzähle, was innerhalb des ersten Lebensjahres angedichtet wurde, frage ich mich: Wieso gehe ich überhaupt noch zum Arzt?! All dieser Stress, nur um jedes Mal wieder festzustellen, dass im Grunde alles in Ordnung war. Vorher stand ich dem Ganzen überhaupt nicht kritisch gegenüber, aber mittlerweile habe ich einfach den Eindruck, dass der Tod eines zu Unrecht abgetriebenen Kindes oder die Schrecken, die man bei einer Fehldiagnose aussteht, nichts wiegen im Vergleich zur Angst vor Klagen, wenn mal eine Behinderung nicht rechtzeitig erkannt wird. Ein komisches Zeitalter.

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